Erleuchtung in Büdelsdorf

Philip S. Holstein

Ich möchte heute eine Buchbesprechung bloggen.
Nun bin ich zwar durchaus erfahrener Schreiber und, vielleicht auch, Anleiter und Instruktor des gehobenen Schreibens;

Was aber gibt mir eigentlich die Befähigung, über das Zeugs anderer Leute zu urteilen?

Vorweg gesagt: Nichts.

Es ist vielleicht so, dass man unter einem Literaten stets auch jemanden mitdenkt, der selber belesen ist. So als ob ein guter Koch auch ein guter Esser sein müsste.

Aber woher sollte man denn sonst auch wissen, was gerade so Ambach ist, vernehme ich euch herumgrübeln!? Und organisieren sich Autoren denn nicht auch in so literarischen Zirkeln, in denen sie ihre Gedanken austauschen? Und sich gar gegenseitig vorlesen? Gab es nicht eine Gruppe 47, in der ein gewisser Herr Richter sowohl Hinz und Kunz als auch den Kreti und den Pleti einlud, und sie dann teilweise auch auszeichnete (wobei die Einladung ja eigentlich schon Auszeichnung genug war)?
Und wäre es da nicht total unhöflich, wenn diese Leute nicht zumindest die Bücher der anderen in ihrem Schrank hätten, oder!?

Junger Blogger
Wie dem auch sei: die gefüllte Bücherschrankwand ist in jedem Fall auf das Untrennbarste verbunden mit unserer Vorstellung des Literaten, des Belesenen und des Gebildeten schlechthin.

Falls ansonsten ein Hemdzipfel oder gar ein Glied aus der Hose hängt, was soll's?

Falls bei der Gestaltung der Haarpracht nicht unbedingt ein ach, der ist aber sicher gebildet, der junge Mann assoziiert werden kann, so what?

-> Den Mumm jedoch, jetzt auch noch auf die Schrankwand zu verzichten, den haben doch die allerwenigsten!

Außerdem: Wenn ich meine Augen schließe, und mir einen Autoren vorstelle, dann sitzt der, oder hängt, oder lümmelt, vielleicht lehnt er im Lehnstuhl vielleicht schreibt er am Schreibtisch, vielleicht steht er auch bloß davor, mal so mal so.
Dabei oftmals mit einer Pfeife im Maul, vielleicht ist da irgendwo ein Schreibblock, er hat eine Schreibmaschine, ein Laptop oder keins, er trinkt Bier wie Bukowski, Milch, Tee oder Kaffee, oder Whiskey.

Hemmingway stand wohl auf Martini.

Aber irgendwo im Hintergrund dieses Bildes, da ist dann auch immer diese Mords-Bücherwand mit ganz, ganz vielen literarischen Werken (Eventuell nicht bei dem erwähnten Herrn Bukowski und Leute diesen Schlages, aber Ausnahmen bestätigen Regeln).

Und ich glaube, ich teile diese Vorstellung jetzt nicht nur hier in diesem Blog, sondern generell, mit ganz ganz vielen Menschen.

Bücher-Schrankwand
Ein kleines Experiment: Schließen Sie bitte Ihre Augen, und versuchen Sie jetzt, sich ein Schriftsteller vorzustellen, und zwar einen, der jetzt einmal nicht vor einer Mords-Bücherwand mit ganz vielen Büchern sitzt...

Sehen Sie? Das funktioniert nicht. Ich habe ergo recht.

Die Bücher-Schrankwand symbolisiert und repräsentiert allerdings eher die Belesenheit, als dass es sie tatsächlich wirklich bedeutet.

Lassen wir jetzt und hier außen vor, dass wir auch den einen oder anderen Haudegen kennen, der in seiner Schrankwand Bücher noch in der original Schutzhülle eingeschweißt vorhielt. Sie quasi dort als demonstrativ ungelesene Status-Objekte aufbewahrte; So als ob ein Hirn, dass weniger Lesestoff verarbeitet hat, wie ein Auto mit weniger Kilometern irgendwie wertvoller wäre.

Auch reden wir nicht von den Halunken, die VHS-Porno-Kassetten, Jägermeister oder Martini Flaschen mit Gläser Sets dort in Fake-Books (also Buch-Attrappen) in Form niederster Vortäuschung falscher Tatsachen ihre Unkultur als Bildung tarnten.

Gehen wir besser davon aus, dass alles ist wie es scheint, und ein Literat die Bücher, die in diesem Mords-Trumm von Schrankwand versammelt sind, auch zum mindesten durchgeblättert, wenn nicht gar alle gelesen hat.

Andererseits sollte bewusst bleiben, dass das Bild der Schrankwand auch eins dahingehender Lebenskultur ist. Wer diesen Blog beispielsweise liest, der wird es vermutlich auf einem Bildschirm tun, allenfalls auf einem elektronischem Papier. Viele Informationen, da bin ich sicher, werden mittlerweile ausschließlich in dem Internet verbreitet, und nicht mehr “auf Buch”.
Und wenn wer wissen will, was geschrieben steht, dann braucht er keine Bibliotheks-Verzeichnisse mehr, keine Konkordanzen, und keine literarischen Wegweiser. Ich kann mich an Zeiten erinnern, an denen es noch gedruckte "Landkarten" für die Reise durchs Internet gab, damals, in den ersten Pinoierjahren. Die hatten ein wenig den Charme eines Telefonbuchs und sie ließen sich, wie diese, durchaus auch in eine Bücherschrankwand stellen. Aber auch damit war irgendwann Schluss. Dass die Schrankwände trotzdem immer noch so dermaßen präsent sind, liegt vielleicht ja auch daran, dass man sie nur sehr schleppend wieder weg bekommt wenn man die einmal angeschafft hat - die Dinger sind nämlich echt sauschwer.

Warum schreibe ich das eigentlich? Ach ja ich wollte ein Buch besprechen:

Ich spreche heute über einen kleinen Roman über den ich im Internet bei Facebook gestolpert bin. Ich glaube es war vorletzte Woche, als ich mich - erschöpft vom Abstauben meiner Bücher-Schrankwand - in meinen Autorensessel fallen ließ, und auf meinem Handy durch die Gegend gesurft bin.

Genauer gesagt habe ich meine sozialen Netzwerke durchforstet.
Ich glaube, ich fühlte mich ein wenig einsam. Und die vielen, vielen Freunde die ich habe, habe ich ausschließlich dort. Ich weiß nicht mehr genau was, wer und warum, aber irgendjemand hatte dieses Buch sozusagen lobend in die Höhe gehalten.

Der Inhalt ist schnell erzählt, ich möchte hier die Inhaltsangabe von lovelybooks.de verweisen. Ich denke, dieselbe findet sich auch sonstwo in der Buchbeschreibungen hier und dort. Wenn man nach diesem Werk denn googlen möchte.
Also:
Paul hört eine Stimme im Kopf. Nichts Perverses oder so, im Gegenteil: Er soll Liebe und Frieden in die Welt bringen. Pauls Mutter hat natürlich Sorge, dass es eine »Schizonie« ist. Der Arzt tippt eher auf Stress oder Tumor. Paul ist verwirrt. Vielleicht ist es ja doch Gott?

Soweit die witzige, aber relativ normale Geschichte. Für ein paar Punkte muss sich der Autor jedoch entschuldigen, denn im fünften Kapitel stirbt ein Meerschweinchen und später gibt es eine Rauferei und einen soliden Drogenrausch in der Sauna. Andererseits gibt es auch zwei Liebesszenen! Und sonst kommt eigentlich niemand zu Schaden. Ach, doch, später werden Sanitäter benötigt und im Zusammenhang mit der einen Liebesszene läuft eine Badewanne über. Und dem Pfarrer kommt sein Glaube abhanden, während dem Psychiater die Diagnosen ausgehen.

Im Übrigen ist es aber eine relativ normale … oh, die Hummel und die Geranie haben ja ebenfalls eine Liebesszene (zumindest körperlich). Davon abgesehen ist es aber eine … okay … ein Handy wird auch angepimmelt. Ansonsten eine relativ normale Geschichte. Und ein bisschen lustig.

Die Geschichte ist, das kann man hier schön erkennen, also relativ trivial.

Eigentlich lese ich keine lustigen Bücher bzw. Geschichten. Denn ich glaube, dass witzige Geschichten irgendwie nicht funktionieren - jedenfalls nicht für mich.

Sie sind in meiner innerlichsten Wahrnehmung doch zu sehr, geradezu untrennbar, verbunden mit dem Gemüffel einer heimeligen ZDF-Abend-Unterhaltung, gerichtet an die Zielgruppe der vor dem Fernsehen vergreisenden, vom wahrhaftigen Leben entkoppelten Generation dahin-vegetierender Saftsäcke (und Saft-Vulvas, sagt man das jetzt so? egal).
Eben trivial.
Nette Geschichten, die dann auch noch mit einem "Augenzwinkern" erzählt werden, und dabei gerne die aller-saudämlichsten Klischees transportieren, sind also folgerichtig ein Bestandteil eines durch und durch abstoßenden, geradezu Brechreize hervorfördernden Metiers zum Himmel schreiender Unkultur. Sie verteilen “Witziges” wie Handkanten-Knuffe auf den Sofakissen der formbaren Emotionen auf der Couch des nicht vorhandenen eigenen Verstandes im den gedanklichen Wohnstuben der prekär Unterhaltenen.

Ich glaube, damit ist klar, was ich meine und was ich davon halte, oder?

Und selbst bei Büchern von Autoren, denen ich nicht unterstellen möchte, im Fahrwasser seichter Unterhaltung herumzutümpeln, da musste ich feststellen, dass auch deren witzige kleine Geschichten schlicht öde sind.

Bei mir auf dem Klo, ist - ich füge dieses Detail hier für diejenigen, die es bis jetzt noch nicht wussten, ein - eine weitere große Bücher-Schrankwand, die mich befähigt, mir während der leider unvermeidbaren Sitzungszeit, gleichzeitig wichtige literarische Beiträge von Schaffensgenossen zuzuführen.

Ich kann das by the way jedem nur wärmstens empfehlen, das ist eine wirklich super super Sache. Es funktioniert übrigens nicht, daraufhin das stille Örtchen als Arbeitszimmer von der Steuer abzusetzen. Denn auch hier gehen die Finanzämter davon aus, dass der Gebrauch des Ab-Ortes vorwiegend privater Natur ist, selbst wenn es umgangssprachlich als Stätte kleiner und großer “Geschäfte” bezeichnet wird. Versuchen Sie nicht, sich hier zu Diskussionen mit den Bütteln und Schergen des Fiskus' hinreißen zu lassen, es ist am Ende wirklich vertane Zeit.

Der Barbier von Bebra

So kam es, dass ich mir dort mit dem "Barbier von Bebra" im letzten Monat ein, bei booklooker auch recht wohlfeil erstandenes, Werk des leider viel zu früh von uns gegangenen, großartigen, Wiglaf Droste zu Gemüte führte (Es war wohl, genauer genommen, ein Co-Autoren Werk, das seinerzeit in der TAZ als Wurmfortsatz-Roman erschien). Und, was soll ich sagen, es blieb leider nur die traurige Erkenntnis übrig, dass es nicht wirklich witzig ist, wenn witziger Plot ausgebreitet wird.

Auch meine eigenen kleinen Geschichten hadern im Übrigen stets mit dem "Witzigen".
Lustig wie ich bin, sprudelt das dann einfach so aus mir heraus, und ich versuche dies dann wo irgend möglich in einen gediegenen Plot zu re-kontextualisieren.
Schließlich: sind gute Geschichten denn nicht wie - ob kleine oder große, ob hölzerne oder eher eherne - Fähren, die unsere Leser dahin und weg tragen sollen, über den Styx, diesen Fluss des Grauens unserer irdischen Existenz? Der stets furchtbar, und, vor allen Dingen, so unergründlich tief, und nie seicht ist?

Und sind die kargen Tantiemen denn wirklich der gerechte Fährmanns-Lohn für den Autoren, der seine Leserschaft hinüberleitet?

Nun, wir wissen es nicht.

Aber ich halte an diesen Glaubenssätzen weiter feste fest. Auch wenn der Literatur das Widersprüchliche wesenseigen ist. Auch wenn in diesem Kosmos des Schaffens das Heilige und das Profane nicht immer klar voneinander zu trennen sind. Und in dem daher auch die Sonne nicht jeden morgen an vertrauter, gewünschter Stelle auf- oder untergeht. Der Literat in mir, der kann all das aushalten. Und er kann dann darüber schreiben.

Kommen wir nun zurück zu der Buchbesprechung.
"Erleuchtung in Büdelsdorf" ist nicht, wie in der Beschreibung behauptet, ein bisschen lustig sondern - nicht nur passagen-weise sondern durchgehend - von hohem dialogischen Witz. Der Autor hat das echt drauf, Respekt. So etwas als gebundenes Buch für 16.- Öhro zu kaufen, lohnt sich aber eigentlich nicht.

Ich selbst werde mein Exemplar jetzt gemeinsam mit dem Buch vom Wiglaf zur nächsten Bücherkiste bringen.

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